Es geht um Rollenklarheit und Grenzen einer gestandenen Führungskraft, die modern führen möchte.

Ich war neulich auf einer Netzwerkveranstaltung zur „Zukunft der Arbeit“. In einer hitzigen Diskussion durchzuckte mich folgender Satz:

„Ein Vorgesetzter mit disziplinarischer Führungsverantwortung kann keine moderne Führungskraft sein und kein selbstorganisiertes Team führen. Das widerspricht sich mit dem neuen modernen Führungsverständnis.“

Wie bitte?

Was soll das denn heißen?

Ich bin eine erfahrene Führungskraft mit Leib und Seele und verfüge über viel Erfahrungswissen. Warum sollte gerade ich als Führungskraft nicht die richtige Person für das Lösen von Führungsproblemen sein?

Mit meiner innerlichen Empörung war ich offensichtlich nicht alleine, denn jetzt wollten es einige Besucher genauer wissen.

Also sind wir der Sache auf den Grund gegangen.

ModerneFührung

Was ist der Unterschied zwischen „alter“ und „neuer“ Arbeitswelt?

Vor der Industrialisierung, bis um vor ein paar Jahren war die Arbeitswelt im Wesentlichen durch Arbeitsteilung und Prozessoptimierung geprägt.

Die Automobilindustrie hat diese Arbeitsteilung mit der Fließbandarbeit sogar perfektioniert.

Es wurde immer schneller produziert, die Qualität optimiert und sämtliche Prozesse drum herum extrem effizient gestaltet.

In den vergangenen 100 Jahren entwickelten sich daraus  bis heute sehr bewährte Management- und Führungsmethoden.

Heute erleben wir diese Methoden – Auswüchse im Business in verschiedenen Formen:  Projektmanagement -Tools, Qualitätsmanagement á la DIN ISO oder REFA-Methoden, Zielvereinbarungssysteme, Reportings etc., um nur ein paar zu nennen.

In der Wertschöpfung und in der Arbeit haben wir es unterschiedlich stark mit lebendigen und dynamischen Punkten im Business zu tun und mit formalen, standardisierten Arbeitsprozessen.

Daraus resultieren auch verschiedene Sorten von Problemen, nämlich die blauen und die roten Probleme.

 

Die Blauen Tätigkeiten und Probleme im Business

Diese Aufgaben oder Probleme sind kompliziert und haben eine Wenn-Dann-Beziehung.

Um den Sachverhalt zu verstehen, kann ich mir die Kausalkette erschließen. Regeln und Anweisungen sind häufig in Handbüchern niedergeschrieben, in denen die Abläufe, Verfahrens- und Arbeitsanweisungen den Lösungsweg vorschreiben.

Durch das Aneignen von Wissen schafft man sich Zugang zur Lösung und dann ist der Sachverhalt nicht mehr kompliziert, sondern die gewünschte Leistungserbringung machbar. Das gewünschte Ergebnis ist quasi vorhersehbar.

Und das funktioniert nur, wenn eine Organisation in ihrem System so aufgebaut ist und die Leistungen quasi arbeitsteilig, standardisiert und mit wenig Menschen erbracht werden.

blaue und rote probleme

Die Roten Tätigkeiten und Probleme im Business

Die Arbeit in der roten Hälfte verhält sich gegenteilig von den blauen Merkmalen.

Rote Probleme sind mit Wenn-Dann-Formeln unlösbar.

Denn das Problem ist komplex. Die Lösung ist weder vorhersehbar noch ausrechenbar und Wissen hilft an dieser Stelle kaum weiter.

Der Markt, die Rahmenbedingungen sind dynamisch und verändern sich permanent. Daher gibt es für ein komplexes Problem noch kein Wissen, auf das das Unternehmen bauen könnte. Um eine Lösung zu generieren, braucht es Menschen mit Ideen und Macherpersönlichkeiten.

Man spricht hier auch gerne von Könnern oder Talenten, die die Lösung quasi im Blut haben. Sie besitzen einen emotionalen Zugang zum Problem.

Komplexität kann man einfach nicht managen oder reduzieren. Man kann Problemen aber mit Kreativität und menschlichem Können begegnen.

 

Es gibt kein Rezept.

Wichtig ist, dass Führungskräfte die unterschiedlichen Herangehensweisen an Aufgaben, Probleme und Lösungen verstehen.

In der Arbeitswelt, in Organisationen, im Job haben wir es immer mit blauen und roten Komponenten zu tun.

Ein Unternehmen, eine Organisation ist niemals blau oder rot. Sie beinhaltet immer beides. Die Arbeitsschritte, die Aufgaben, die die Abteilungen oder einzelne Mitarbeiter durchführen, können entweder blau oder rot sein oder auch einen Mix beinhalten.

Zum Beispiel ist der aktive Verkauf durch einen Vertriebler sehr stark auf der roten Seite angesiedelt. Der Vertriebler muss immer situativ auf den Kunden reagieren, hingegen der Sachbearbeiter in der Controllingabteilung eher blaue Aufgaben verrichtet. Diese Aufgaben sind mit Wissen problemlos lösbar.

Soweit die Theorie.

 

Die wichtigste Frage, um eine bessere Einordnung der Bereiche vorzunehmen, ist: Was ist genau hier das zentrale bzw. leistungsbestimmende Element, um das Problem, die Aufgabe zu lösen?

Ist dieses Merkmal mehr im roten Bereich anzusiedeln? Oder eher im blauen Bereich? Und was bedeutet das im Kontext „Führung“?

Mit dieser Antwort kann ich viel besser einordnen, ob das Problem eher durch Wissen, Handlungsanweisungen lösbar ist oder nicht. Und wenn das Problem mit den standardisierten Mitteln nicht zu lösen ist, braucht es andere Lösungsmöglichkeiten.

Diese Probleme richtig einzuordnen ist entscheidend.

 

Was hat das mit Führung zu tun?

In der Fachliteratur zum Thema „moderne Führung“ wird gerne die Unterscheidung zwischen Steuerung und Führung vorgenommen.

Steuerung bedeutet:

Planen. Kontrollieren. Dirigieren. Das Ziel ist vorgeschrieben und die Ausführung und Umsetzung wird nach Fahrplan begleitet, ggf. wird Verbesserung vorgenommen.

Steuern kann ich aber nur, wenn ich über ausreichend Handlungswissen verfüge.

Häufig weiß ein Vorgesetzter über Steuerungsprozesse sehr viel mehr, als die Mitarbeiter. Es gibt also immer wieder Wissensgefälle.

Damit der Plan funktioniert, muss ein Vorgesetzter den Weg vorgeben, z.B. durch klare Handlungsanweisung.

 

Moderne Führung bedeutet:

Es geht um Rollenklarheit.

Moderne Führung kann ich (leider) nicht wollen.

Sie wird mir von anderen Menschen zugesprochen oder auch nicht.

Im modernen Sinne findet Führung nur dann statt, wenn z.B. eine Kollegengruppe/ Projektgruppe einem Teamglied folgen will.

Führung wird hier also verliehen und hat nichts mit formeller Machtposition und Arbeitsanweisungen zu tun.

Moderne Führung ist viel menschlicher und kann durch folgende Formulierungen wahrgenommen werden: „Ich habe da eine Idee…“, „Das könnte auch so oder so funktionieren.“, „Lasst uns das doch so oder so versuchen“.

Führung wird in Form eines Vorschlages oder eines Rates formuliert, den ich als Kollege auf Augenhöhe, ohne Schwierigkeiten befürchten zu müssen, ablehnen kann.

Die moderne Führung kann auch zwischen den Teammitgliedern wechseln bzw. nur temporär ausgeübt werden.

Und genau das ist zwischen einer disziplinarischen Führungskraft und einem Mitarbeiter einfach kaum möglich.

Wenn ich meinem Mitarbeiter also einen gut gemeinten Rat gebe – und ich meine das auch nur so – so muss der Mitarbeiter immer abklopfen und innerlich prüfen, ob mein Rat eine versteckte Anweisung beinhaltet? Und wenn der Mitarbeiter diese missachtet, muss er mit Konsequenzen rechnen?

Also: Ein Vorgesetzter mit formaler Macht kann nicht führen.

moeglichmacher

Fazit

Diese Erkenntnis, dass ich mit fast 20 Jahren formaler Führungserfahrung keine moderne Führungskraft sein kann, hatte mich getroffen.

Vor allem, weil ich immer auch stolz darauf war, als Führungspersönlichkeit nicht stehen zu bleiben und über den Tellerrand zu schauen.

Ich habe mich mit meiner Rolle als formale Vorgesetzte sehr identifiziert. Aber Fakt ist, dass auch ich als Führungskraft keine Chance habe, die Probleme und Herausforderungen im roten Bereich, mit klassischen Führungspraktiken zu lösen. Aber ich kann einen Rahmen schaffen, in dem moderne Arbeit und Führung möglich werden kann. Mit diesem – meinem –  neuen Rollenverständnis als Vorgesetzte kann ich wunderbar leben. Ich kann Möglichmacher sein. J

 

Herzliche Grüße, Stefanie Meise

 

 

 

 


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